Mein Name ist Sören Vogelsang, ich bin 36, studierter Schauspieler und verdiene seit mehr als 11 Jahren meinen Lebensunterhalt als freischaffender Musiker und Schauspieler.

Ich bin einer von Zehntausenden freiberuflichen Künstlern, die seit März von der Corona-Politik in jedem Hilfsprogramm vergessen werden.

Da unsere Politiker offensichtlich das Leben und die Arbeit von freiberuflichen, bzw. Solo-Selbstständigen nicht nachvollziehen können, habe ich mal einen Erfahrungsbericht aus erster Hand formuliert, was von den medial groß angekündigten Soforthilfen und Kultur unterstützenden Programmen bisher bei uns frei schaffenden Künstlern ankommt.

Im März gab es eine einmalige Soforthilfe von (je nach Bundesland) bis zu 9000€
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Die erst als Pauschale angelegte Hilfe wurde schnell im Nachhinein mit Auflagen belegt, der Bescheid abgeändert und so durfte das ausgezahlte Geld weder für die Lebenshaltungskosten, noch die Miete, noch für Dinge wie Personalkosten, geschäftliche Anschaffungen, oder Ähnliches genutzt werden.
Das Geld war ausschließlich für Banken-Interessen wie für Kredite, Büromieten Leasingverträge, Firmwagenkosten, etc. gedacht, also nur für Bereiche, die Freiberufler und Solo-Selbstständige zum Großteil überhaupt nicht betreffen. Der größte Teil dieser Soforthilfen musste also zurückgezahlt werden.

Dann gab es unterschiedliche, länderspezifische Hilfen. In Bayern zum Beispiel wurde Kreativschaffenden eine Hilfe von drei mal eintausend Euro, also insgesamt dreitausend Euro zur Verfügung gestellt. Allerdings auch nur für die nur knapp 30.000 in der Künstlersozialkasse angemeldeten Kreativschaffenden aus Bayern. ()
Diese Hilfe durfte zwar auch für die Lebenshaltungskosten genutzt werden, das Problem allerdings war hier, dass man diese Hilfen nur beantragen durfte, wenn man die Soforthilfe vorher noch nicht beantragt hatte. Dies konnte man zur Anfangszeit der Soforthilfen aber natürlich unmöglich wissen.
Auf gut deustch heisst das aber auch: Die Kulturschaffenden durften entweder ihre berufliche, oder aber ihre private Existenz sichern. Also entweder ihre Selbstständigkeit retten, oder was zu Essen auf dem Tisch haben, um es mal platt auszudrücken.

Jetzt gibt es die sogenannte Neustarthilfe. Bis zu maximal 5000€ werden für die Monate von Dezember 2020 bis Juni 2021 zur Verfügung gestellt.
Die Neustarthilfe darf, wie die Länderhilfen und entgegen der Soforthilfe, auch für die Lebenshaltungskosten verwendet werden.
Ganze acht Monate nach einem quasi Berufsverbot – wir wissen alle wie viel Kultur diesen Sommer stattgefunden hat – gibt es endlich eine Hilfe, die einem Unternehmerlohn gleichen soll.
Und mit „soll“ trifft es das auch schon ganz gut, denn diese Neustarthilfe ist sowohl weit davon entfernt einem Unternehmerlohn zu gleichen, als auch weit davon entfernt wirklich zu helfen. Aber schauen wir uns das Ganze ein bisschen genauer an:

Während die bis zu 9000€ für die ersten drei Monate gedacht waren, die wie gesagt von den Freiberuflern und Solo-Selbstständigen zum Großteil nicht verwenden konnten, ist die Neustarthilfe mit maximal 5000€ auf insgesamt sieben Monate(!) angelegt.
Das sind bei einem Maximalwert von 5000€ circa 714€ pro Monat.

Um diese 5000€ aber überhaupt voll beantragen zu dürfen, hätte man in 2019 einen Jahresumsatz von mindestens 34.285€ erwirtschaften müssen.

Laut der Künstlersozialkasse liegt das Jahres-Durchschnittseinkommen eines freien Musikers bei knapp 15.000€, das Jahres-Durchschnittseinkommen einer freien Musikerin liegt sogar bei nur 12.000€. Freiberufliche Schauspieler*innen liegen ebenfalls bei ca. 12.000€ im Jahr.
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Bei einem Jahresumsatz von, nehmen wir mal großzügig die 15.000€, liegt die Neustarthilfe aber nur noch bei circa 2000€! Für sieben Monate!

Aber egal, ob man jetzt 5000€, oder nur 2000€ der Rechnung zugrunde legt, der jeweilige Zuschuss der Neustarthilfe liegt damit bei nicht mal 15% des Jahresumsatzes von 2019 und das für sieben Monate. Also für mehr als 50% des Jahres, weniger als 15% des Vorjahresumsatzes.

Hinzu kommt, dass die Neustarthilfe nicht mal eine Pauschale ist, sondern nur als Vorschuss gewährt wird. Man darf nämlich in den Monaten Dezember 2020 bis Juni 2021 nur maximal 50% des Vorjahresumsatzes verdient haben um die Hilfe voll geltend machen zu dürfen. Obwohl vier der sieben Vorjahresmonate bereits in die Zeit der Pandemie und den ersten Lockdown fallen, also in eine Zeit, in der die Kulturschaffenden sowieso schon extrem wenig verdient haben. Kommt man in Dezember 2020 bis Juni 2021 über diese 50% des Vorjahres, muss die Neustarthilfe ganz, oder teilweise wieder zurück gezahlt werden.


Zum Vergleich:
Die Novemberhilfe für die Unternehmen erstattet 75% des Vorjahresmonats!
Bei großen Hotels oder Gastronomiebetrieben, kann das sehr schnell im fünf- bis sechsstelligen Bereich liegen. Das Kurzarbeitergeld liegt nach sieben Monaten bei 80%, mit Kindern sogar bei 87%.
Und sowohl die Novemberhilfen als auch das Kurzarbeitergeld werden aus dem Bundeshaushalt finanziert, also aus Steuereinnahmen, in die auch die Freiberufler und Solo-Selbstständigen teils seit Jahren bis Jahrzehnten ihre Steuern zahlen.

Das Kurzarbeitergeld beträgt maximal 3755€ pro Monat. Und diese maximal 3755€ sind ganz im Gegensatz zu den maximal 714€ der Neustarthilfe Netto. Die Kulturschaffenden müssen von ihrer mickrigen Neustarthilfe also auch noch Steuern abführen!

Als Freiberufler, beziehungsweise Solo-Selbstständiger bekommt man alsofür sieben Monate in etwa genau so viel, wie ein sehr gut verdienender Angestellter für nur einen einzigen Monat.
Verglichen mit Kurzarbeitergeld, oder auch der Novemberhilfe, ist diese Neustarthilfe also eine absolute Farce!


An diesem Punkt der Kritik verweisen viele Politiker gerne darauf, dass die Kulturschaffenden ja zusätzlich auch noch Hartz IV, also Grundsicherung beantragen können. Um das noch mal ganz deutlich zu sagen: Viele von uns arbeiten seit Jahren, einige seit Jahrzehnten, erfolgreich ihren jeweiligen Berufen. WIR SIND NICHT ARBEITSLOS! Wir dürfen, beziehungsweise können nur momentan aufgrund der nachvollziehbaren Beschränkungen unsere Berufe nicht ausüben. Wir sind also nicht aus Eigenverschulden, sondern wegen der Auflage des Staates in dieser Situation.

Warum übernimmt man nicht das funktionierende System aus BaWü, wo man als Freiberufler bis zu 1180€ Unternehmerlohn pro Monat geltend machen kann?!
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Diese Neustarthilfe benötigt ja auch einen riesengroßen Bürokratieapparat im Hintergrund, der all die Anträge prüfen und validieren muss. Wurden die 50% Vorjahresverdienst überschritten? Wie viel wurde beantragt? Wie viel durfte überhaupt beantragt werden? Wer muss wie viel zurückzahlen?
Durch diesen bürokratischen Aufwand werden wieder viele Millionen an Steuergeldern sinnlos vernichtet. Geld, dass die Existenzen von vielen Freiberuflern und Solo-Selbststänidgen in der Kultur-Branche retten könnte.

Vielleicht wurde hier ja wirklich von der Politik einfach etwas vergessen. Im Zweifelsfall wohl aber einfach nur wir Kulturschaffenden.

Sollte man eine Branche, die einen Jahresumsatz von mehr 130 Milliarden Euro erwirtschaftet nicht irgendwie besser unterstützen? Auch, oder GERADE WENN diese Branche keine große Lobby besitzt?

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Natürlich fallen in diesen riesigen Branchenumsatz auch Zulieferer-Firmen, Event-Agenturen, große Veranstaltungsorte und top-verdienende Stars und ich bin nur ein winziger Teil dieses Riesenumsatzes, aber ICH BINein Teil dieses Umsatzes und das seit Jahren und es wäre schön, wenn das auch nur ansatzweise von der Politik anerkannt werden würde.

Weitere Quellen:




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